top of page

Die Krise namens Selbstkritik

Aktualisiert: vor 2 Tagen

Ein Resümee nach zwei Jahren Resilienztraining



"Ich schaffe aber auch gar nichts."

"Ich bin zu hässlich."

"Ich habe diesen Mann nicht verdient."

"Ich bin ständig am Grübeln."

"Ich bin selbst schuld."

"Dazu bin ich einfach zu schwach."

"Welche Alternative hab ich schon zu meinem Job?"

"Es gibt so viele, die besser sind als ich."

"Ich sage Termine zu, obwohl mir nicht danach ist und ärgere mich dann nur über mich selbst."

"Ich habe Angst vor Ablehnung, wenn ich Nein sage."

Das Wort Resilienz stammt vom lateinischen "resilire" ab, das übersetzt so viel wie "abprallen" bedeutet. Übertragen auf den Menschen beschreibt Resilienz die seelische Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen und die Fähigkeit, aus negativen Erlebnissen etwas Positives zu ziehen.


So weit, so gut. Bevor ich mich selbständig machte, arbeitete ich in einem Gesundheitszentrum mit dem Schwerpunkt Ernährungsberatung. Hier wurde mir langsam klar, dass die Menschen unserer modernen Zeit keine "echte Krise" mehr brauchen, um sich vor einer großen Herausforderung zu fühlen. Wie Anton Tschechow schon sagte:

Eine Krise kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.

Die Erfahrungen, die ich mit Herzensangelegenheit bis heute machen durfte, bestätigen das. Aber wie sieht unser Alltag heute aus? Nach fast zwei Jahren Resilienztraining wagte ich mich an ein Resümee und wusste, dass es nicht schwer sein wird, meine persönlichen Erfahrungen, mit denen meiner KlientInnen zu vereinen. Wir sitzen alle im selben Boot.


Wir leben in einer Gesellschaft, in der der zweite Platz schon nichts mehr zählt. Den Anforderungen, die so manch einem gestellt werden, könnte nicht mal eine perfekt funktionierende Maschine nachkommen. Die Werbung erzieht uns zu unzufriedenen Versagern, die erst dann zufrieden sein können, wenn sie noch dies und das besitzen.


Hinzu kommen ganz individuelle, prägende Erfahrungen des Einzelnen

und die unzähligen Möglichkeiten, sich heute mit anderen zu vergleichen.


Über 30 unterschiedliche Menschen durfte ich seit 2019 durch das Resilienztraining begleiten. Niemand von ihnen stand vor einer "greifbaren" Krise. Einzelfälle hatten echte Krisen bereits hinter sich. Der Hauptgrund zur Teilnahme lag in gnadenloser Selbstkritik, die längst zu einer belastenden Gewohnheit geworden war. Hinzu kommt das Gefühl von Scham, weil man sich selbst so schlecht behandelt.


Gefolgt von der Angst, nicht Nein sagen zu können, also keine persönlichen Grenzen zu ziehen und den wachsenden Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten, die bei einer beruflichen Neuorientierung wie Felsen den Weg versperren.


In meiner Ausbildung zur Resilienztrainerin haben wir die wichtigsten Faktoren gelernt und analysiert. Bereits bei den Vorbereitungen für das erste Training wurde mir klar, dass das Training auf Selbstmitgefühl aufbauen muss, da Faktoren wie "Optimismus", "Dankbarkeit" oder "Zukunftsorientierung" nicht wirklich Sinn ergeben, wenn sie nicht auf einem gesunden Selbstmitgefühl aufbauen. Und das will in der heutigen Zeit erst mal gestärkt, in manchen Fällen auch gefühlt erst wieder hergestellt werden.


Natürlich ist Selbstkritik per se nichts Schlechtes. Sich den eigenen Fehlern und "Schwächen" bewusst sein, ist nicht das Problem. Nur wer konstruktiv selbstkritisch ist, kann Lösungen finden und eine Veränderung in Gang setzen.


Wenn ich Selbstkritik schreibe oder sage, meine ich damit in diesem Zusammenhang die Form der gnadenlosen Selbstkritik. Jene, die kaum Raum für rationales Hinterfragen lässt und die in Minderwertigkeitsgefühlen mündet.


Es macht einen Unterschied, sich lediglich darin zu üben, "optimistisch" zu denken oder es wirklich zu fühlen. Und bis wohin reicht Zukunftsorientierung, wenn man sich weiterhin selbst als Feind und nicht als Freund im Weg steht?


Und so schließt sich der Kreis zur persönlichen Resilienz. Denn Leiden ist ein Teil des Lebens und es spielt keine Rolle, ob wir uns in einer persönlichen oder kollektiven Krise befinden oder ob wir uns gerade selbst abwerten. Resilient ist, wer sich in Momenten des Leidens zur Seite steht wie ein Verbündeter und nur wer konstruktiv statt gnadenlos selbstkritisch ist, kann aus negativen Erlebnissen etwas Positives sehen.


Suffering is part of life. May I be kind to myself in this moment. May I give myself the compassion I need.

(Kristin Neff)


Ich bin Michelle Chirico, Gründerin von Herzensangelegenheit.


Trainerin für Resilienz, Achtsamkeit & Stressbewältigung


76 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page