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Innere Harmonie durch Selbstmitgefühl

In diesem Beitrag geht es darum, warum innere Harmonie eine so große Herausforderung ist und warum wir diese annehmen sollten.


Innere Harmonie und Resilienz durch Selbstmitgefühl













Auch wenn die Möglichkeiten, Wissen darüber zu erlangen, wie wir unsere (mentale) Gesundheit beschützen und Zufriedenheit erlangen können, mittlerweile riesig sind und in den sozialen Medien ein guter Ratschlag auf den nächsten folgt, scheinen innere Harmonie, wahre Zufriedenheit und Gelassenheit die größten Hürden unserer modernen Zeit zu sein.


Und obwohl man doch alles hat, was man braucht und inzwischen auch noch Fachliteratur über Glück und Zufriedenheit liest, kommt irgendwas dazwischen, was einen davon abhält, einfach mal innerlich ausgeglichen zu sein, zufrieden zu sein, anwesend zu sein im eigenen Leben, dankbar zu sein und vor allem: Sich selbst ein guter Freund/eine gute Freundin zu sein. Bevor ich also mit meinen freundlichen Impulsen um die Ecke komme, möchte ich einen Aspekt betonen, den wir heutzutage zu schnell übersehen oder vergessen:


Unsere biologische Realität stellt das Überleben vor das Glücklichsein.



Das Regulationssystem der Gefühle

Damit will ich sagen, dass wir zunächst mal nicht selbst Schuld an der "Misere" sind. Ich finde das deshalb so erwähnenswert, weil ich selbst erfahren durfte, wie tief die Abwärtsspirale aus Selbstkritik und Selbstzweifeln gehen kann.


Wenn wir trotz des Wissens, trotz allem, was wir besitzen, trotz unzähligen Tipps und motivierenden Zitaten rund um die Uhr, innerlich einfach nicht in Einklang sind, beginnen wir, uns selbst dafür zu verurteilen. Gnadenlose Selbstkritik statt Mitgefühl. Der absolut falsche Weg in dieser Situation. Also nochmal: Es liegt zunächst in unserer Natur, ständig Ausschau nach Unstimmigkeiten, Bedrohungen und Gefahren zu halten.


Wenn wir etwas verändern möchten, sollten wir uns auf diesem Fakt natürlich nicht ausruhen. Das Schöne ist nämlich, dass wir innere Harmonie herstellen können, wenn wir uns bewusst dazu entscheiden und immer wieder "üben".


Dazu möchte ich am Modell der Gefühlsregulation (Compassion Focused Therapy) nach Paul Gilbert anknüpfen.

Demnach besitzen wir die drei Systeme der Gefühlregulation:


  1. Das Alarmsystem (Threath)

  2. Das Antriebssystem (Drive)

  3. Das Fürsorgesystem (Soothing).


Innere Harmonie erfahren wir dann, wenn all diese Systeme im Einklang sind.


Compassion Focused Therapy
Modell der Gefühlsregulation

1. Alarm


Für unseren Organismus hat das Alarmsystem nach wie vor höchste Priorität. Dafür können wir in erster Linie dankbar sein, denn Sinn und Zweck dieses Systems ist der Selbstschutz. Unsere Wahrnehmung ist ständig auf mögliche Gefahren gerichtet, selbst in Momenten, in denen wir "im Flow" sind.


Nimmt unser Gehirn eine mögliche Bedrohung war, reagiert der Körper automatisch mit der Stressreaktion.


Der Blutdruck steigt, Adrenalin und Cortisol werden für den Kampf oder eine mögliche Flucht ausgeschüttet. Unangenehme Gefühle wie Angst und Gereiztheit nehmen zu. Dabei können sowohl äußere als auch innere Reize Auslöser sein. In Momenten echter Gefahr ist die Stressreaktion absolut angemessen. Aber mal ganz ehrlich, wie oft befinden wir uns in echter Gefahr?


In einem Workshop zur Stressbewältigung für Azubis habe ich nach persönlichen Stressauslösern gefragt. Der Reihe nach stellten die 15 jungen Erwachsenen ihre Empfindungen vor. Die Faktoren, die sich am meisten wiederholten, waren:


Leistungsdruck, ständige Erreichbarkeit & WhatsApp Gruppen, Vergleiche mit anderen und Prüfungsangst.


Nichts davon hängt mit körperlichen Einschränkungen, Schmerzen oder ernsthafter Bedrohung zusammen. Unser Organismus kennt den Unterschied zwischen "bedrohlichen" Gedanken und realer Bedrohung aber nicht und das Alarmsystem schlägt an.


"Warum löst das Vergleichen mit anderen Stress in dir aus?"

fragte ich eine 19-jährige Auszubildende.


Ihre Antwort: "Ich fühle mich selbst unperfekt und schlecht, wenn ich sehe, wie hübsch andere sind oder was sie besitzen."


Dieses Beispiel macht deutlich, dass innerer Druck am Ende sogar in gnadenloser Selbstkritik enden kann.


2. Antrieb


"Wer ausbrennt, muss vorher für eine Sache gebrannt haben."


Das Antriebssystem zeichnet sich in erster Linie durch angenehme Gefühle und Motivation aus. Im Streben nach Anerkennung und Belohnung geben wir Vollgas. Unser Körper schüttet Dopamin aus und wir fühlen uns lebendig. Davon wollen wir mehr. Immer mehr. Noch mehr.


2016 arbeitete ich in einem Gesundheitszentrum mit dem Schwerpunkt

Ernährungsberatung. Eine junge Mutter, die jahrelang unter ihrem Übergewicht litt, entschied sich für eine mehrwöchige Therapie. Über zwei Monate nahm sie dreimal pro Woche die Fahrt von über 50 Minuten auf sich, nachdem sie ihre Tochter in den Kindergarten brachte und bevor sie zur Arbeit fuhr.


An manchen Tagen kam sie kurz vor Schluss, nach ihrem Feierabend. Mit hochrotem Kopf und verschwitzter Stirn stieg sie regelmäßig aus dem Fahrstuhl und schnappte erst nach Luft, ehe sie sich an der Rezeption ankündigte. Während der gesamten Zeit ernährte sie sich ausschließlich nach unserem Plan, in dem klassische "Nervennahrung" natürlich keinen Platz hatte.


Immer, wenn ich die Frau sah und mit ihr sprach, fragte ich mich, wo sie nur die Energie hernimmt. Für mein persönliches Empfinden war das alles sehr viel, was sie sich zumutete.


"Ich habe diese Jeans in meinem Schrank, die mir vor Jahren mal passte und ich komme meinem Ziel, mit dieser Jeans aufs Stadtfest zu gehen, immer näher."


Spätestens dann, wenn unser Selbstwert an ein Ziel angeknüpft ist, kann unser Antriebssystem nichts mehr stoppen. Ein Ende ist trotzdem in Sicht, denn so, wie die junge Mutter die Therapie vor dem offiziellen Ende aus Erschöpfung abbrach, halten auch die angenehmen Gefühle durch Antrieb nicht ewig an.


In einer solchen "Misere" befinden wir uns dann, wenn wir uns in einem ständigen Wechselspiel zwischen Alarm und Antrieb befinden. Das Ausmaß und die Vielfalt an äußeren und inneren Reize geht längst über unsere Natur.


Die Anforderungen im Job, das viel zu schnelle Tempo, die Illusion von Multitasking und Perfektion, das Vergleichen mit Kollegen, Freunden und Nachbarn. Hinzu kommen prägende Erfahrungen aus der Kindheit, wie Vernachlässigung und fehlende Bindung. Das Gefühl "nicht gut genug zu sein" macht Angst und treibt uns an.


Das ständige Getriebensein lässt unseren gesamten Organismus auf Hochtouren laufen, auch dann, wenn wir eingemummelt auf der Couch sitzen und nur schon daran denken, das nächste Projekt rechtzeitig abzuliefern oder im nächsten Sommerurlaub endlich perfekt auszusehen, so wie die anderen.


Auf Dauer kann reiner Antrieb nicht funktionieren. Der Antrieb muss ausgeglichen werden.

Und somit zu unserem wertvollen und oft vergessenen System:


3. Fürsorge (Achtsamkeit)


Resilienz durch Selbstmitgefühl

Wie kommen wir also raus, aus der Endlosspirale von Perfektion und Leistung, Angst und Antrieb? Wir müssen Freundschaft schließen, mit uns selbst.


Dafür haben wir von Natur aus sogar ein drittes System. Das "Beruhigungs- und Fürsorgesystem". Dieses System besitzen wir deshalb, da bereits unsere Vorfahren, die sich wohlgemerkt öfter in ernsthaft lebensbedrohlichen Situationen befanden, einen Ausgleich brauchten und das Gefühl der Bedrohung regulieren mussten. Der Unterschied zu den anderen Systemen ist der, dass wir es aktiv anwenden müssen.


An dieser Stelle komm die Achtsamkeit ins Spiel - sich des Geschehens im gegenwärtigen Moment gewahr zu sein. Standhaft zu bleiben und sich nicht mitreißen zu lassen, von den inneren Überzeugungen, die gerade auftauchen. Kurz:


Das Fürsorgesystem zu aktivieren, setzt die Fähigkeit zum Innehalten voraus.

Tun wir das, bedankt sich unser Körper mit Oxytocin, dem Hormon, das die Gefühle von Sicherheit und Ruhe stärkt, Angst und Stress mindert.


"Ich habe es mal mit autogenem Training versucht, aber es hat mir nicht geholfen."

Sagte eine Klientin im Erstgespräch zu mir, nachdem ihr Arzt ihr empfohlen hatte, beruflich dringend einen Gang runterzufahren und etwas für sich zu tun.


Ein zusätzlicher Entspannungskurs, zu all dem Stress, den inneren Überzeugungen und einem verzerrten Selbstbild, reicht nicht aus, um die inneren Systeme in Einklang zu bringen. Das ist ungefähr so, als würden wir ein Pflaster auf eine nicht heilende Wunde kleben (und uns dann irgendwann selbst dafür verurteilen, dass die Wunde noch da ist).


Aus diesem Grund behaupte ich auch, dass innere Harmonie eine große Herausforderung ist, die wir aber dennoch annehmen können.


Es erfordert Bewusstheit, Achtsamkeit und Reflektion. Innehalten und im Alarm- und Antriebssystem immer wieder auf Pause zu drücken.


Lösungs-IMPULSE und Beispiele:


Um den Rahmen dieses Beitrages nicht völlig zu sprengen, versuche ich mich anhand der oben genannten Beispiele aus der Praxis kurz zu fassen.


Die Auszubildende, die sich von den Eindrücken sozialer Medien unter Druck gesetzt fühlt und minderwertig fühlt, aktiviert ihr Fürsorgesystem, in dem sie sich bewusst wohlwollend statt gnadenlos selbstkritisch betrachtet und hinterfragt:


"Ich lasse mich gerade von einem perfekt inszenierten Foto aus der Ruhe bringen, dabei weiß ich gar nicht, wie es hinter den Kulissen aussieht."


"Was macht diese Person wertvoller als mich?" - Ich gehe offline und widme mich dem wahren Leben.


Die junge Mutter, die für ihre Gesundheit und ihr Wohlfühl-Ich einen völlig ungesunden, kaum umsetzbaren Weg einschlägt, aktiviert ihr Fürsorgesystem, indem sie sich vor der Therapie die Frage stellt, ob sie Beruf, Kind, die Strecke zum Zentrum und die Einhaltung des Ernährungsplans wirklich gleichzeitig händeln kann.


"Ich will abnehmen und ich will in diese Jeans passen aber ich bin ein Mensch, keine Maschine. Was brauche ich bei dieser Herausforderung wirklich?"


"Ich brauche Unterstützung und darf diese auch annehmen. Ob verkürzte Arbeitszeiten, Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder dem Einkauf, ich habe viele Möglichkeiten, alles ein bisschen gesunder zu gestalten, wenn ich nur hinsehe."



Ein paar ehrliche Worte zum Schluss:


Liebe Leserin, lieber Leser,


ich erwische mich gerade dabei, dass es mir schwer fällt, mich kurz zu fassen und nicht auszuarten, aus Angst, etwas wichtiges zu vergessen. Ich spüre, wie Druck in mir aufsteigt, denn es ist nicht möglich, über einen Blogbeitrag bei diesem Thema wirklich in die Tiefe zu gehen.


Außerdem macht mir das Schreiben Spaß, es motiviert mich und ja, ganz bestimmt freue ich mich auch über möglichen Zuspruch (=Anerkennung). Ich würde so gerne noch weiter schreiben, hier und da könnte ich auch etwas ändern, damit der Artikel auch wirklich perfekt wird. Aber mein Fürsorgesystem meldet sich gerade. Es ist Sonntag, 19:28. Zeit, den Bildschirm auszuschalten und mich mit meinem Mann auf der Couch zu treffen. Außerdem mache ich mir bewusst, dass dies ein Artikel und kein persönliches Coaching ist, mein Anspruch ist gut, Druck jedoch unangemessen. Wenn das dazu führen sollte, dass ich in diesem Artikel etwas wichtiges vergessen oder an der ein oder anderen Stelle nicht so "schön" geschrieben habe, dann verzeihe ich mir das, denn ich betrachte mich wohlwollend, nachdem ich mich selbst viel zu lange im Alarm- und Antriebsmodus befand und endlich Freundschaft mit mir selbst geschlossen habe.


Genau das, wünsche ich auch Dir. Die Möglichkeiten sind längst da.


Danke fürs Lesen, Danke fürs Dasein!



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